Link zur Seite versenden   Druckansicht öffnen
 

Die Orgel in St. Sebastian

Die Lemsdorfer Orgel wurde zunächst 1890 mit der Errichtung der neuen Kirche von dem Magdeburger Orgelbauer Eduard Beyer gebaut, aber erst 1892 nach Beseitigung verschiedener Mängel von dem Orgelsachverständigen Rudolf Palme abgenommen.

 

1939 erfuhr die Orgel einen durchgreifenden Umbau und eine klangliche Neugestaltung durch den Magdeburger Orgelbauer Felix Brandt (1885-1953), Neffe des Orgelbauers Eduard Beyer. Brandt hatte sich 1935 in Magdeburg-Cracau selbstständig gemacht, nachdem er vorher eine Vertrauensstellung als Monteur und  Chefintonateur bei der bis in die 1930er Jahre sehr bedeutenden international tätigen Firma Welte & Söhne (Freiburg i. Br.) hatte, wo er beim Bau von Kirchen-, Konzertsaal-, Kino- und Rundfunkorgeln mitgewirkt hat. Herauszuheben ist dabei seine Tätigkeit beim Bau der Welte-Funkorgel 1930 für den großen Sendesaal der „Norag“. Die Funkorgel sollte vielen Stilrichtungen genügen. Sowohl Werke des sakralen und sinfonischen Bereichs als auch solche der leichten Muse mussten gespielt werden können. Felix Brandt hat diese Funkorgel intoniert, wobei er gemeinsam mit dem eigens für die Orgel angestellten versierten Organisten Gerhard Gregor Klangfarben und Lautstärken der Register abgestimmt und geprüft hat.


Brandt hat 1939 durch einen durchgreifenden Umbau eine grundlegende klangliche Neugestaltung sowie eine eigene Intonation das grundtönige romantische Instrument von Beyer zu einem individuellen, von neobarocken Ideen inspirierten Klangkörper werden lassen, dessen einzelne Register von hoher Charakteristik und in ihrer auffallend zurückhaltenden Klanglichkeit von der Klangästhetik zeitgenössischer Saal-, Rundfunk- und Kinoorgeln geprägt sind. Das Instrument ist insgesamt hinsichtlich der erhaltenen technischen und klanglichen Substanz des späten 19. Jahrhunderts wie auch der orgelbaugeschichtlich eigenwertigen Umgestaltung der späten 1930er Jahre historisch interessant. Das kunsthistorisch bemerkenswerte Gehäuse ist Bestandteil eines geschlossen erhaltenen Ausstattungsensembles im neuromanischen Stil.

 

 

„Es handelt sich bei den Brandtschen Veränderungen im Unterschied zu vielen anderen vergleichbaren Maßnahmen der Zeit nicht um einen ordinären Umbau, der lediglich dazu diente, eine ästhetisch missliebig gewordene romantische Orgel klanglich „aufzuhellen“. Dass Brandt mit diesem Umbau eigene komplexe Vorstellungen verband, zeigt sich allein schon in der übersichtlich-schlichten Gestaltung des Spieltisches, der mit eigenem Firmenschild signiert ist, und der übersichtlichen
inneren Anlage des Instrumentes. Die Register haben eine höchst eigentümliche, von der subtilen Klangwirkung der Kino- und Konzertsaalorgeln geprägte Intonation, die sich durch außerordentliche Dezenz, zuweilen auch Sprödigkeit (Quintatön 8´) auszeichnet .[...]


Besonders individuell ist die Besetzung des II. Manuals. Seiner Position nach als Unterwerk im Gehäuse platziert, ist es seiner Klangentfaltung nach ein zartes Echowerk. Hervorzuheben ist das Register Salicional 8´ im Unterwerk, eine schöne Synthese aus Streicher-, Flöten- und Prinzipalcharakter. Verblüffend auch die milde Zimbel - gerade im Vergleich zu ähnlichen, meist klanglich hochaggressiven Mixturen aus der Zeit der Orgelbewegung.“[...] „Der Persönlichkeit des Erbauers Felix Brandt ist eine historische Bedeutung für die Geschichte des deutschen Orgelbaus nicht abzusprechen und er ist sogar mit Fug und Recht als letzter Vertreter der jahrhundertealten Magdeburger Orgelbautradition anzusprechen“ ¹

 

Der Magdeburger Orgelsachverständige Willi Strube hat Brandt als „hingebungsvollen und vor allem künstlerisch arbeitenden Orgelbaumeister“² beschrieben. Die Erhaltung des historisch gewachsenen Zustandes der Felix-Brandt-Orgel war als denkmalpflegerische Zielstellung naheliegend. Der Denkmalwert der Orgel wurde 2004 durch das Landesamt für Denkmalpflege, Herrn Dr. Brülls bestätigt. Durch Benefizkonzerte seit September 2003, Orgelführungen, CD-Aufnahmen sowie durch die Spendenfreudigkeit der Gemeindeglieder und durch Bereitstellung von Fördergeldern des Kirchenkreises und der EKM wurde die Restaurierung der Orgel durch die Orgelbaufirma Reinhard Hüfken/Halberstadt möglich.
Wir möchten an dieser Stelle allen Spendern sowie auch den Orgelbauern ein herzliches Danke sagen, denn sie alle haben zum Erhalt dieses kulturellen Erbes beigetragen, dass es zum Lob Gottes und zur Freude aller nun wieder erklingen kann.

 

Disposition der Orgel:

pneumatische Kegellade, 2 Manuale und Pedal, 16 Register, neoromanisches Gehäuse

I. Manual: (C-f´´´)                                    II. Manual: (C-f´´´)                         Pedal: (C-d´)

Prinzipal 8´                                             Salizional   8´                                 Subbaß 16´

Hohlflöte 8´                                             Nachthorn 4´                                  Zartbaß 16´

Quintatön 8´´                                           Blockflöte 2´                                  Gedackt 8´

Oktave 4´                                                Cymbel 3-fach 1 1/2´                     Choralbass 4´

Spitzflöte 4´

Rohrnasat 2 2/3´

Oktave 2´

Mixtur 3-fach 1 1/3´ 

 

Koppeln, Spielhilfen: II/I, P/I, P/II, Tutti, Piano, Forte, Auslöser

 

Quellen:
¹ Brülls, H.: Begründung für den Denkmalwert, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt 29.03.2004
² Falkenberg, H.-J.: Zwischen Romantik und Orgelbewegung „Die Rühlmanns“. Lauffen 1995
Liers, D.: Ortsbefunde u. Einschätzung der Orgel in St.Sebastian, Berlin 29.09.2003